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Projektidee
Vor ziemlich genau 10 Jahren begannen die Planungen für die Errichtung einer eigenen Jugendtheatersparte am thaterhagen. In einer Stadt, die in extremem Maße jene Auswirkungen durchlebt, die unter dem Begriff des „demographischen Wandels“ verstanden werden, war es unabdingbar, sich mit der programmatischen Ausrichtung einer jungen Bühne auf genau diese Veränderungen intensiv einzulassen.

Bedeutendes Schlagwort jener Anfangstage war das der „Parallelkulturen“. Wer nicht regelmäßig die öffentlichen Verkehrsmittel nutzte, wer nicht mit Schulen und Jugendeinrichtungen in Berührung kam, dem blieb hinter den Zäunen seiner Vorgärten oft verborgen, wie sich Trennendes in unserer Stadt aufgetan hatte: Oben, auf den Hügeln die einen wohnend, unten, an den Hauptverkehrsadern, die anderen. Man kannte sich kaum, wollte sich auch kaum kennen lernen, wollte sich nicht aufeinander einlassen. Ein Jahr später – das LUTZ eröffnete gerade seine zweite Spielzeit – bekam dieses unverständige Nebeneinander ein schreckliches, übergeordnetes und internationales Schreckensbild: den 11. September.
Ein Jugendtheater muss ein aktueller Raum der Begegnung sein, ein Reibungsort unterschiedlicher Kulturen, eine Schwitzkammer der dringend nötigen Auseinandersetzung. Die Neugier des Kennenlernens, die respektvolle Akzeptanz des Anderen, das Feststellen von Unterschieden, die Suche nach Gemeinsamkeiten, wurden zu großen Antriebsfedern. Die inhaltlichen Ideen der RUHR.2010 und vor allem die Plattform TWINS2010, in der Kunstprojekte mit Akteuren der jeweiligen Partnerstädte gefördert werden, schienen dann vor drei Jahren genau die Bühne zu eröffnen, die geeignet war, die „Zäune“ zwischen den drei monotheistischen Religionen abzutasten. 
Die Idee, mit muslimen Jugendlichen aus Hagen, jüdischen Schülern aus der Partnerstadt Modi’in (Israel) und christlichen Schülern aus Berlin-Zehlendorf, das ebenfalls zu Hagens reicher Zahl an Partnerstädten gehört, gemeinsam ein Theaterstück zu erfinden, fand rasch großen Anklang. Großzügige Sponsoren und viele andere Förderer begleiteten bisher den Weg, um 60 jungen Menschen die unglaubliche Chance zu eröffnen, 14 Tage lang gemeinsam in Hagen zu leben, Theater zu kreieren, zu tanzen und zu spielen, mit einander klar zu kommen – und acht Mal die gemeinsame Aufregung zu erleben, vor ein Theaterpublikum zu treten.

Inhalt
Sich aufeinander einzulassen bedeutet zunächst die Suche nach dem gemeinsamen Urboden. Und der ist zweifelsfrei in den drei heiligen Schriften zu finden. Die Schöpfungsgeschichte durch den einen Gott, das Losgehen aus einem gemeinsamen Urgedanken, bindet alle drei Religionen in unauslöschlicher Weise. Und dies ist auch der Anfang unserer Theatergeschichte in 7 Bildern: Worte, die allen drei heiligen Schriften inne sind, führen uns zurück an den Anfang, an das Nichts, zurück zu den Körnern und Dattelkernen, als das Lebendige aus dem Toten und das Tote aus dem Lebendigen hervorgebracht wurde.
Doch schnell springen wir in das Heute: Wir sehen junge Menschen, tanzend, sich mit Leidenschaft austobend und sich vergnügend – aber Nichtigkeiten, Kleinigkeiten lassen jenen Zwist ausbrechen, der in kleinen Begegnungen genau so unüberwindlich scheint wie in der großen Weltpolitik. Wir, die Menschen, die Krönung der Schöpfung, verursachen Unheil. 
In diese Spannungsfeld zwischen alten Worten und dem Jetzt entwickeln die 60 Darsteller ihre eigenen Gedanken, sie suchen nach sich selbst und nach dem Anderen, sie schützen sich voreinander und verzweifeln an eben jenen Schutzzäunen, sie entwickeln schlimme Formen der Abneigung genau so wie gemeinsames Klammern an ein Wort: Aussöhnung.

Umsetzung
Die Begegnung der drei Religionen Judentum, Christentum und Islam auf einer Theaterbühne birgt eben jenen Sprengstoff, der auch draußen, auf offenem Feld, im Kampf des Alltages herrscht. Schnell stößt man an Grenzen, die sich nicht spielen lassen, man erreicht Zäune, die nur schwer zu beseitigen sind. Die Sorge um Missachtung, Verletzung, Fehltritte hemmt. Die Zäune sind da. Auch in der Theaterarbeit. Radikales Einreißen, wie sie einem Kunstwerk vielleicht erlaubt wären, würde dünn vorhandenen Vertrauensboden zerstören. 

Über allem lastet das unglaubliche Defizit, dass wir den Anderen und seine Religion, seine Kultur nicht wirklich kennen. Diese drei Glaubensrichtungen, hervorgegangen aus ein und dem selben Ursprungsgedanken, bilden derart komplexe Gebäude mit unzähligen Haupt- und Nebenräumen, haben zahllose dunkle Gänge und verschlossene Türen, Winkeln und Ecken, sodass es ein Lebenswerk wäre, sie alle zu verstehen.
Und dennoch stellen wir uns in die Mitte eines Raumes und spielen. Wir spielen Textszenen, wir tanzen in unterschiedlichen Stilen, wir füllen den Raum mit Zitaten heiliger Worte, mit selbstverfassten Texten, mit fragmentarischem Spiel mit der Ringparabel, oder auch mit Wortfetzen aus einer der geglücktesten Friedenreden unserer aktuellen Geschichte, Richard von Weizsäckers Rede am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag. Musikalischer Boden entsteht durch das reiche Klangspektrum zweier Schlagwerker, die archaischen Untergrund ebenso schaffen wie irritierend psychodelische Klangeffekte.